Soziales Engagement – Eine inkomplette Querschnittslähmung hält Emelie nicht auf

Emelie, dass ist die junge Frau, über die wir bereits kurz berichtet haben und deren Geschichte wir aus guten Gründen heute etwas detaillierter erzählen möchten. Emelie, das ist auch eine beeindruckend taffe Neunzehnjährige, die sich nicht unterkriegen lässt und die Hindernisse nur als Herausforderungen ansieht. Doch der Reihe nach …

Eigentlich sollte sich Emelies Gesundheitszustand vor zwei Jahren durch eine Bandscheiben-OP deutlich bessern … doch leider war das Gegenteil der Fall. Beim chirurgischen Eingriff kam es zu Komplikationen und in deren Folge zu einer inkompletten Querschnittslähmung.

Es wurden Nervenbahnen im Rückenmark beschädigt, was unterhalb der verletzten Stelle zu einer erheblichen Beeinträchtigung der motorischen, sensorischen und autonomen Funktionen führte. Oder einfach und drastisch ausgedrückt: Seitdem sind schmerzhafte Spastiken und der Rollstuhl Emelies ständige Begleiter.

Emelie kämpft und lässt sich nicht unterkriegen

Bedingt durch ihre gesundheitlichen Einschränkungen und die hohe Zahl an notwendigen Reha-Maßnahmen war ab diesem Moment auch an einen geregelten Schulbesuch nicht mehr zu denken. Sollte sie ihren Traum vom Abitur als Grundlage fürs berufliche Weiterkommen begraben müssen, nur weil unser traditionelles Schulsystem bei Schülerinnen und Schülern auf dauerhafte vor-Ort-Präsenz besteht?

Im guten Glauben an eine Kostenübernahme wies Emelie ihre Krankenkasse und die Schulbehörde auf die Möglichkeit eines Fernabschlusses an einer staatlich anerkannten Bildungseinrichtung hin, wo zeitlich flexibles von-zuhause-aus-Lernen ja bekanntlich zum Erfolgskonzept gehört. Die Bestätigung, dass dies der für sie optimale Weg sei, erhielt Emelie und ihre Familie schnell – allerdings wurde die Übernahme der Kosten abgelehnt. Ausnahme nicht möglich. Schluss. Aus. Fertig.

Für Emelie, die nicht über den für eine Privatfinanzierung nötigen finanziellen Background verfügt, war das zwar zunächst eine niederschmetternde Nachricht, doch abfinden wollte sie sich damit nicht. Sie blieb dran und ging in die Offensive. Sie sprach darüber – und so kam auch der Kontakt zur Kinderhilfsorganisation Becks & Nagel for Kids zustande, die seither die an der ILS anfallenden Studiengebühren trägt und Emelie so das Erreichen ihres schulischen Nahziels ermöglicht.

Emelie will auf eigenen Beinen stehen

Doch Emelie wäre nicht Emelie, wenn sie nicht auch in Eigeninitiative beständig nach Möglichkeiten suchen würde, die ihre Lebensqualität verbessern. Dazu gehört das regelmäßige Hinterfragen von Behandlungsformen ebenso, wie die Suche nach neuen und innovativen Hilfsmitteln. Denn Emelies großes Ziel lautet: Mehr auf eigenen Beinen stehen und weniger im Rollstuhl sitzen müssen.

Vor diesem Hintergrund wurde Emelie vor einiger Zeit dann auch auf den Exopulse Mollii Suit aufmerksam. Dabei handelt es sich um eine sog. Soft-Orthese mit 58 im Ganzkörperanzug platzierten Elektroden. Durch niederfrequente Reize – ausgeübt auf die Antagonisten (Gegenspieler) der spastischen Muskeln – sollen Schmerzen verringert und aktive Bewegungen wieder möglich werden.

Natürlich wollte Emelie jetzt so schnell wie möglich mehr über diesen Anzug erfahren – und ihn im Idealfall auch einmal ausprobieren. Die gute Nachricht: An ihrem Wohnort gab es die Möglichkeit für eine Testanprobe – mit der Option auf eine zeitlich begrenzte, kostenpflichtige Ausleihe. Die schlechte Nachricht: Der Mollii Suit ist bislang nicht im Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gelistet.

Dementsprechend werden die Kosten für den Kauf des Anzugs (bummelige 9.000 Euro) auch nicht von der Kasse übernommen. Es fehlt – was bei neuen Hilfsmitteln und Methoden nicht verwundert – auch an einer generellen Empfehlung z.B. des Ärztlichen Beirates der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) oder des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS). Diese Institutionen wünschen sich für ein abschließendes Urteil weitere kontrollierte und doppelblinde Studien.

Extra Bild Emelie 1

Becks & Nagel for Kids hilft gleich doppelt

Was also tun mit all diesen Informationen? Monate oder Jahre ins Land ziehen lassen, in der Hoffnung, dass die GKV den Mollii Suit irgendwann in das Hilfsmittelverzeichnis aufnimmt? Und bis dahin im täglichen Leben weiter überwiegend auf den Rollstuhl angewiesen sein?

Ihrem Naturell entsprechend wollte Emelie natürlich nicht warten. Lieber nahm sie das Heft selbst in die Hand. Erstes Ziel: Bei einem einstündigen Probetragen eigene Erfahrungen sammeln und selbst erleben, wie sie auf die in dieser Form neuartige Elektrostimulation anspricht.

Emelies Urteil fiel schon nach diesem Kurzzeit-Test positiv aus. Und der im Sanitätshaus per Video festgehaltene vorher-/nachher-Vergleich dokumentierte auch den für jeden sichtbaren Zuwachs an Beweglichkeit.

Vorher:

Nachher:

Mit dieser positiven Erfahrung im Gepäck nahm Emelie anschließend das nächste Ziel ins Visier. Sie startete eine Gofundme-Kampagne bei der insgesamt 2.700,00 Euro zusammenkamen. Eine Menge Geld, für das Emelie den Spenderinnen und Spendern noch heute ganz herzlich dankt. Doch damit war der Kaufpreis für den Mollii Suit noch nicht gedeckt. Es fehlten noch 6.300,00 Euro.

Davon hörte wiederum Karsten Nagel und seine Hilfsorganisation – und für ihn stand schnell fest, dass der taffen jungen Frau auch ein zweites Mal geholfen werden sollte. So übernahm Becks & Nagel den Differenzbetrag und Emelie konnte nicht nur den 4-Wochen-Test finanzieren (dessen Kosten übrigens auf den Kaufpreis angerechnet wurden) sondern auch ihren eigenen Mollii Suit bestellen.

Am 22. April war Übergabe … und wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus

Zwei Tage nach Emelies 19. Geburtstag war es dann so weit. Die Übergabe des Molliis stand im Sanitätshaus Stolle an – und neben Emelie, ihrer Mutter und Karsten Nagel (Becks & Nagel) durften auch wir vom ALS-Verlag mit dabei sein.

Extra Bild Emelie von links nach rechts: Wolfgang Hothum (ALS-Verlag), Emelie, Karsten Nagel (Becks & Nagel)

Nach herzlichem Empfang und einer ebenso hanseatisch-herzlichen „Männer raus-Ansage“ vor dem Um- und Anziehen durften wir beim vom Hersteller empfohlenen 60-minütigen Programmablauf dabei sein.

Emelie saß in dieser Zeit entspannt in ihrem Rolli und berichtete zusammen mit ihrer Mutter von den vielfältigen und nicht immer schönen Erfahrungen mit Krankenkassen und Schulträgern. Und mit großer Begeisterung schilderte sie uns auch, wie gut ihr diese eine Stunde Mollii pro Tag tut.

Davon konnten wir uns dann nach Abschluss der Einheit selbst überzeugen. Den Weg zum sog. Gehraum wollte und konnte Emelie auf eigenen Beinen absolvieren und spätestens beim wie selbstverständlich erscheinenden Bewältigen der Testtreppenstufen hatten alle Anwesenden nicht nur Gänsehaut, sondern auch Tränen in den Augen.

(16.05.2025/WH)

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