Pädagogische Konzepte – Waldorf

Zwischen 1890 und 1933 brachten Maria Montessori, Rudolf Steiner und Célestin Freinet einen tiefgreifenden Wandel in der Pädagogik. Sie kritisierten bestehende Bildungsformen und richteten das Lernen stärker an den Bedürfnissen der Kinder aus.

Diese Pioniere der Reformpädagogik prägten die moderne Kindererziehung nachhaltig. In unserer Blogserie Pädagogische Konzepte beleuchten wir ihre visionären Ideen und deren Einfluss auf die heutige Bildung.Waldorf

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Waldorf-Pädagogik – was ist das eigentlich?

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Wohl jeder hat schon einmal von einem Waldorf-Kindergarten oder einer Waldorfschule gehört und eine grobe Meinung dazu. Als ich einige Personen in meinem direkten Umfeld (die nie eine solche Einrichtung besucht hatten) dazu befrage, bekomme ich im Grunde immer das oder Ähnliches zu hören:

„Ich hab zwar keine Ahnung, was das genau ist, aber es soll recht teuer sein. Außerdem bekommen die Kinder in der Schule keine Noten, können also nicht sitzenbleiben und sie können ihren Namen tanzen.“

Nun gut, das klingt schon mal nach recht viel Klischee, das ĂĽberprĂĽft werden will. Zu diesem Zweck tauche ich hier tiefer in die Thematik ein.

Wer hat die Waldorfpädagogik erfunden?

Extra Bild WaldrfNach dem 1. Weltkrieg befand sich Deutschland im Ausnahmezustand, in dem sich manche Menschen nach Neuorientierung und festen Strukturen sehnten. So unter anderem auch Emil Molt, der Direktor der Waldorf-Astoria Zigarettenfabrik in Stuttgart, der fĂĽr die Kinder seiner Fabrikarbeiter eine Schule bereitstellen wollte.

Er bat den Österreicher Rudolf Steiner, Publizist, Esoteriker und Begründer der anthroposophischen Bewegung, ihn bei diesem Vorhaben zu unterstützen. Und so wurde im Jahr 1919 in dieser Fabrik die erste Waldorfschule mit 12 Lehrern und über 250 Kindern eröffnet.

Welche Prinzipien liegen der Waldorfpädagogik zugrunde?

Die Grundlage für die Waldorfpädagogik (eine Form der sogenannten Reformpädagogik) bildet das anthroposophische Menschenbild, das Rudolf Steiner zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt hatte.

Rudolf Steiner nahm das Motto der französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ auf und interpretierte diese Elemente als Grundlage für ein gelungenes Miteinander. Er versuchte, die Grundsätze der Brüderlichkeit in der Wirtschaft, die Gleichheit auf politischer Ebene und die Freiheit der Kultur in die Praxis zu transportieren.

In dieser ersten deutschen Gemeinschaftsschule wurden Mädchen und Jungen unterschiedlicher Schichten und Begabungen gemeinsam unterrichtet. Als freie Schule realisierte die Waldorfschule den Impuls der Selbstverwaltung.

Das Ziel der Waldorfpädagogik ist es, Kinder zu selbstbewussten und selbstständigen Individuen zu erziehen, die in der Lage sind, ihr volles Potenzial zu entfalten. Kinder werden hier nicht als kleine Erwachsene gesehen, sondern als Wesen, die Zeit und einen ausreichenden Schonraum brauchen, um sich entwickeln zu können.

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Die kindliche Entwicklung im 7-Jahres-Rhythmus

Rudolf Steiner ging davon aus, dass sich die kindliche Entwicklung in 7-Jahres-Schritten vollzieht. In den ersten sieben Jahren ahmt das Kind die Verhaltensweisen der Erwachsenen nach.

Im zweiten 7-Jahres-Abschnitt braucht das Kind die Autorität eines Erwachsenen, der ihm nahesteht und zu dem es aufschauen kann. Diese Autorität darf jedoch nicht auf Zwang beruhen.

Im dritten 7-Jahres-Abschnitt erreicht das Kind das Jugendalter und entwickelt ein eigenes, persönliches Innenleben. In dieser Phase werden der Sinn und Zweck der Dinge und des eigenen Lebens erforscht. Laut Rudolf Steiner entwickelt sich in dieser Zeit die Persönlichkeitsreife und Mündigkeit.

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Und an diese Phasen des kindlichen Lernens ist der Bildungsplan der Waldorfschulen angepasst. In den ersten Jahren erfolgt ein bildhafter Unterricht, der später, wenn das Kind reifer ist, von einem wissenschaftlichen Unterricht abgelöst wird, der Antworten auf alle wichtigen Lebensfragen gibt. In Fächern, in denen Sachgebiete geschlossen behandelt werden können, wird der Epochenunterricht praktiziert.

Waldorf-Materialien

Durch natürliche Materialien sollen die kindlichen Sinne ganzheitlich angesprochen werden. Es lassen sich kreative Rollenspiele, Bau- und handwerkliche Spiele prima damit realisieren, denn dadurch, dass das Spielzeug nicht vorgefertigt ist, gibt es unendlich viele Nutzungsmöglichkeiten und genau das regt die kindliche Fantasie an.

Zu diesen Materialien zählen Holzstücke, Holzbretter, Holzklötze, mit denen gebaut werden kann. In Körben werden Baumzapfen, Kastanien, Muscheln, Obstkerne, Steine, Nüsse angeboten, die befühlt oder beschnuppert werden und die beim Spiel immer wieder andere Funktionen haben können.

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Schön gefärbte Filzstücke, Stoffe, Tücher oder Wollschnüre dienen als Verkleidungs-, Deko- und Baumaterial. Holz- und Stoffpuppen haben keine detailliert ausgestalteten Körper oder Gesichtszüge und lassen der Fantasie viel Spielraum. Auch mit Sand gefüllte Säckchen oder Filzbälle können befühlt oder für kreative Spiele eingesetzt werden.

Was ist Eurythmie?

Die Eurythmie wurde im frühen 20. Jahrhundert von Rudolf Steiner zusammen mit Marie von Sivers entwickelt. Dabei handelt es sich um eine anthroposophische Bewegungskunst, in welcher Sprache, Klänge, Gesten, Farben und Ausdrucksbewegungen mit Musik umgesetzt werden.

Das Wort Eurythmie setzt sich aus dem altgriechischen Wort eu für „gut, richtig“ und rhythmós „Ebenmaß, Wohlklang“ zusammen und kann mit „schöne Bewegung“ übersetzt werden. Die Eurythmie wird schon an Waldorfkindergärten spielerisch mit den Kindern geübt und als reguläres Fach an Waldorfschulen von der ersten bis zur zwölften Klasse unterrichtet.

Kritik am Prinzip der Waldorfpädagogik

  • Weil sich Waldorfeinrichtungen dem Leistungsdruck entziehen, lautet ein häufiger Vorwurf, dass sich die Kinder dort in einem Schonraum befänden und nicht ausreichend auf das „echte Leben“ vorbereitet wĂĽrden.
  • Wer als Lehrkraft an einer Waldorfschule unterrichten möchte, benötigt kein klassisches Lehramtsstudium. Dies fĂĽhrt dazu, dass sich die Lehrkräfte den zu vermittelnden Unterrichtsstoff häufig selbst erschlieĂźen mĂĽssen.
  • Dass die spirituellen und esoterischen Aspekte bei Waldorfschule eine wichtige Rolle spielen und das Singen, Tanzen sowie Malen und Basteln zu den festen Bestandteilen des Schulalltags gehören, erweckt bei manchen Menschen den Eindruck, in dieser Schule wĂĽrde nicht „richtig gelernt“.

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Wie jede andere Erziehungswissenschaft hat auch die Waldorfpädagogik sowohl Stärken als auch Schwächen. Ob die oben genannten Kritikpunkte tatsächlich negativ zu bewerten sind, oder ob ein gezielter und langfristiger Schonraum der Kinder ohne Selektion, das lebenslange Lernen der Lehrerschaft und die Konzentration auf künstlerische und kreative Tätigkeiten wie Singen, Tanzen und Gestalten vielleicht nicht doch eher positive Aspekte darstellen, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Hinweis: Trotz des abweichenden Schulkonzepts der Waldorfschule ist es Schülern möglich, dort einen Realschulabschluss oder das Abitur zu erwerben.

ĂśberprĂĽfung einiger Thesen

  1. Sind Waldorfeinrichtungen wirklich teuer?
    Waldorfschulen erhalten in Deutschland staatliche Zuschüsse, doch da diese die Betriebskosten nur teilweise decken, tragen die Eltern mit Schulgeld zur Finanzierung bei. An den meisten Schulen sind diese Beiträge nach dem elterlichen Einkommen gestaffelt. Im bundesweiten Durchschnitt liegt der monatliche Beitrag bei rund 200 Euro, je nach Region und Schule kann die Beitragshöhe allerdings abweichen.
  2. Bekommen Kinder wirklich keine Noten und können somit auch nicht sitzenbleiben?
    Damit die Kinder in den ersten acht Schuljahren keinem Leistungsdruck ausgesetzt sind, gibt es in Waldorfschulen kein klassisches Notensystem. Zeugnisse werden in ausführlicher Form erstellt. Bei diesem sogenannten Textzeugnis, das jeder Schüler zum Schuljahresabschluss erhält, werden die Persönlichkeitsentwicklung und Lernfortschritte beschrieben. Ab der 9. Klasse werden zwar Schulnoten zusätzlich zu den ausführlichen Berichtszeugnissen vergeben, aber ein „Sitzenbleiben“ ist nicht möglich – die Kinder lernen von der ersten bis zur zwölften Klasse in einem gleichbleibenden Klassenverband.
  3. Lernen Kinder in Waldorfeinrichtungen wirklich, ihren Namen zu tanzen?
    An Waldorfeinrichtungen nimmt das Unterrichtsfach Eurythmie einen wichtigen Stellenwert ein. Hier wird mit dem ganzen Körper Musik und Sprache zum Ausdruck gebracht. Und da in diesem Ausdruckstanz jeder Laut von A bis Z mit einer Geste dargestellt werden kann, lässt sich auf diese Weise auch der eigene Name tanzen.

Prominente WaldorfschĂĽler

Was haben Jennifer Aniston, Cosma Shiva Hagen und Heiner Lauterbach gemeinsam? Sie drĂĽckten alle schon die Waldorf-Schulbank.

Und auch die folgenden Promis durften im Laufe ihrer Schulzeit die Geheimnisse der Eurythmie erkunden:

Marie Bäumer, Barbara Becker, Sandra Bullock, Michael Ende, Cosma Shiva Hagen, Karoline Herfurth, Heiner Lauterbach, Jimi Blue und Wilson Gonzales Ochsenknecht, Ferdinand Alexander Porsche, Christian Quadflieg, Martin Semmelrogge, Sarah Wiener, Kai Wiesinger

Fazit

In den ersten acht Schuljahren gibt es keine Noten, die Kinder können somit auch nicht sitzenbleiben. Die Klassengemeinschaft bleibt einschließlich der Lehrkraft in den ersten sechs bis acht Jahren unverändert. Das kreative Tun genießt einen hohen Stellenwert.

Während Schulen mit diesem pädagogischen Konzept zunächst nur in Deutschland gegründet wurden, existieren Waldorfschulen heute weltweit, insgesamt sind es circa 1.040 Waldorfschulen sowie rund 2.000 Waldorfkindergärten in 60 Ländern.

Die Frage, Waldorfpädagogik ja oder nein, kann nicht allgemein beantwortet werden. Ob das Waldorf-Konzept für ein Kind passt oder nicht, muss von Fall zu Fall abgewogen und entschieden werden.

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(09.07.2024/DD)

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